Markus Miessen

[Motivation]{.underline}

Ich bin eher durch Zufall auf das Buch gestossen. Interessiert hatte es mich nach meinen ersten Auseinandersetzungen mit dem Thema Partizipation, welche ich im Projekt RAST und dem Workshop Partizipatives Design hatte. Ich habe schnell begriffen, dass das Thema Partizipation eine schwierige Sache ist. Nicht jeder kann und will bei demokratischen Entscheidungsprozessen mitmachen. Das Buch versprach sich kritisch mit dem Thema auseinander zu setzen und mir Antworten auf Fragen zu geben wie:

  • MĂĽssen immer alle mitentscheiden?

  • Wollen sie das ĂĽberhaupt?

  • Was fĂĽr alternative Modelle fĂĽr Entscheidungsfindungen gibt es?

  • Was ist ĂĽberhaupt Demokratie?

[Zusammenfassung]{.underline}

Markus Miessen, sein Name ist Programm, setzt sich kritisch damit auseinander wie Partizipation heute gelebt oder verkauft wird. Er geht davon aus, dass Partizipation in Politik und Wirtschaft vor allem als Alibiübung eingesetzt wird, zum Zwecke der Konsenspartizipation. Damit will er sagen, dass Partizipation in diesem Rahmen nur dazu dient, die vorherrschende oder gegebene Meinung zu bestätigen.

Er argumentiert weiter, dass Partizipation in geschlossenen Systemen nie eine Weiterentwicklung bringen kann. Um dieses Dilemma aufzulösen schlägt er eine Praktikt des Aussenseiters vor. Dieser bringt eine andere Sicht der Dinge mit, eine die nicht durch das gegebene System geprägt wurde. Durch dieses Eindringen fördert der Aussenseiter eine konflikthafte Partizipation. Und erst diese, so Miessen, werden echte Fortschritte erzielt.

[Begriffe und Themen]{.underline}

Konflikt und Konsens, Kollaboration und Kooperation

Miessen argumentiert in erster Linie gegen eine Konsenspolitik wie sie betrieben wird — reine Alibiübung, nur zur Selbstbestätigung, zur Abgabe von Verantwortung. Er plädiert für eine konflikthafte Partizipation in der Meinungen die wirklich anders sind aufeinander treffen. Nur so könne Fortschritt gemacht werden. Indem das System aufgebrochen wird.

Ein weiteres wichtiges Gegensatzpaar in seinem Buch ist Kollaboration und Kooperation. Mit Kollaboration meint er die Zusammenarbeit von sowieso schon gleichgesinnten. Diese Art von Zusammenarbeit bestätigt sich immer wieder selbst und geht nicht weiter. Die Kooperation ist die Zusammenarbeit zweier Gegner (nicht Feinden) die das gleiche Ziel verfolgen, sich aber über den Weg uneins sind. Hier treffen verschiedene Sichten aufeinander.

Der Aussenseiter

Andere Namen fĂĽr diese Position sind der Berater (Wirtschaft) oder Crossbench-Praktiker (Parteiloses Mitglied der englischen Regierung). Der Aussenseiter soll in das fragliche System eindringen. Er sollte dabei nicht zu einem integralen Teil des Systems werden, also eher am Rande stehenbleiben als bis zum Kern vordringen. Es ist dabei wichtig, dass dieser Aussenseiter sich aus seinem Spezialgebiet hinsausbegibt und sein Spezialwissen abstreift.

Die Idioten

Miessen spricht gerne, manchmal auch unterschwellig oder auch durch das reine Nichtansprechen von einer breiten Masse von Menschen — den Idioten die im Gegensatz zum Aussenseiter zu stehen scheinen.

[Eigene Gedanken]{.underline}

Markus Miessen liest sich nicht ganz fliessend. Das Buch scheint mir teils sehr zusammengewĂĽrfelt und fadenlos. Daher auch die endlosen Wiederholungen.

Ich finde die Position die Markus Miessen einnimmt teilweise sehr unangenehm. Wenn er sagt, dass nicht jeder immer partizipieren kann und soll und dabei das Wort Idioten gebraucht um eine breite Schicht der Bevölkerung zu bezeichnen, muss ich vielleicht schmunzeln, aber korrekt ist es nicht. Markus Miessens Gestalt des Aussenseiters scheint jemand zu sein der es sich leisten kann, in andere Systeme einzudringen und zu stören. Er spricht aus der Sicht des Architekten. Zudem erwähnt er als weitere Ausprägungen den Berater und den Crossbench-Praktiker. Alles Berufe die vorraussetzen, dass irgendwo genügend Geld und Zeit ist. Er spricht zum Beispiel davon, dass nicht jeder partizipieren kann und sollte. Jedoch bezieht er sich mit dem Aussenseiter ausschliesslich auf privilegiertere Positionen. Den Rest der Problematik lässt er aus.

Die Idioten haben jedoch genau so ein Recht und eine Pflicht partizipatorisch mitzuwirken. Miessen spricht meiner Meinung nach dass korrekte Problem an: Nicht jede/r kann und soll partizipieren. Dies jedoch dann nur den Eliten überlassen ist dann aber die falsche Lösung. Ich möchte nun fast schon behaupten, dass Miessen sehr egozentrisch handelt. Massgebend ist p.130 auf der Chantalle Mouffe bemerkt, dass “du [Markus Miessen] versuchst, eine Theorie zu deiner eigenen Rolle aufzustellen…“.

Ich denke eine Auseinandersetzung mit dem System der Partizipation wäre hilfreich gewesen. Damit will ich sagen, dass eine Lösung nicht nur von aussen kommen kann sondern auch strukturelle Änderungen am System der Partizipation diese begünstigen würden.

Ich spreche hier keine Lösung von Partizipationsproblemen auf nationaler Basis an. Das Debianprojekt ist ein gutes Beispiel. Es umfasst ungefähr 1000 Entwickler weltweit, was für ein Softwareprojekt eine ungeheure Anzahl ist. Das Debianprojekt hat diverse Partizipationsmechanismen eingebaut die je nach Position des Partizipanten anders greifen. Es gibt nicht nur eine Abstimmung oder nur einen König. Das System hat sich so entwickelt dass es auf Entscheidungsfindungen verschiedenster Grösse und Tragweite angemessen reagieren kann.

Nichts desto trotz finde ich das Buch für einen Prozessgestalter lesenswert. Die Problematik der Partizipation besteht. Und der Autor bestäftigt sich herrlich kritisch mit dem Thema. Vor der Lektüre hatte ich zwar schon meine Zweifel, aber richtig ausgebrochen sind diese erst danach. Die Ansätze und Projekte die Miessen im Verlauf des Buches beschreibt, haben einen Charakter der mich an die Projekte im HyperWerk denken lässt. Da gibt es nomadische Schulen, Menschen die zum Teil der problematischen Systeme werden und Prozesse mitmachen, Interdisziplinarität und freies Wissen und was noch.

Die Position des Aussenseiters finde ich sehr interessant, da es eine simple Lösung für das bestehende Problem ist. Jedoch würde mein Aussenseiter anders aussehen — wohl mehr wie ich selbst, als wie Miessen…

[Wurden meine Erwartungen erfĂĽllt und Fragen beantwortet?]{.underline}

Grundsätzlich nein. Das Buch hat mir keine Patentlösung auf die schwierigen Fragen der Partizipation geliefert. Es hat mir jedoch aufgezeigt das kollektive Entscheidungsfindungen komplexer sind als uns eine romantische Vorstellung von Partizipation weissmachen möchte und das mit dem Thema kritisch umgegangen werden muss. Mit anderen Menschen gemeinsame Wege gehen, ist kein Kampf aber denoch immer ein schwieriges Unterfangen, welches von Situation zu Situation wieder neu angegangen werden muss. Nur in der stetigen, anstrengenden Auseinandersetzung mit der Realsituation kann Demokratie weiterentwickelt werden.

Des weiteren verstand ich, dass Demokratie nicht in Stein gemeisselt und das Hoch der gegenwärtigen Dinge ist. Es kann kein absolute, keine perfekte Lösung für das Zusammenleben geben. Es muss demfall eine stete Annäherung und Weiterentwicklung stattfinden können. Das heisst, anstatt sich im selbstbestätigenden Konsens zu verlieren, müssen Möglichkeiten geschaffen werden die Situation wirklich zu verändern und voranzutreiben.