Gabriella Coleman

[Motivation]{.underline}

Seit Heidrun Frieses Workshop Field/Work bin ich ein grosser Fan der Anthropologie. Nun kommt Antropologin Gabriella Coleman und beschreibt in ihrem Buch Menschen, welchen ich mich nahe und manchmal sogar als einer von ihnen fühle — den Entwicklern von freier Software.

Die Entwicklung von Software, insbesondere mit der opensource Mentalität, sind für mein Leben essentiell. Motivation für dieses Buch war Suche nach Selbsterkenntnis einerseits und um meinen Gedanken Worte zu verleihen andererseits. Opensource ist für mich eine Selbstverständlichkeit und ich habe gemerkt, dass es mir schwer fällt diese Verständlichkeit in Worte zu fassen, welche anderen wiederum zugänglich wären.

Fragen die mich durch dieses Buch begleitet haben:

  • Was ist eigentlich [Opensource]{.underline} (Geschichte, Funktion, Relevanz, Auswirkungen)?

  • Wer sind diese Leute die sich dieser Mentalität verschrieben haben?

  • Wer bin ich in diesem Kontext, respektive welche Auswirkung hat meine Arbeit?

  • Ist die opensource Mentalität auf Software beschränkt oder kann sie darüber hinausgehen?

[Zusammenfassung]{.underline}

Das Buch ist umfassend und unheimlich akkurat, meinem Empfinden nach. Es ist der Abschluss einer dreijährigen, qualitativen Studien bei den Entwickler von [Debian]{.underline}. Die Autorin Gabriella Coleman ist Antropologin welche sich auf die Hackerkultur spezialisiert hat. Ein anderer Aspekt ihrer Arbeit ist das Anonymous Kollektiv.

Das Buch fängt mit einer Beschreibung des durchschnittlichen [Hacker]{.underline} an — seine persönliche Geschichte, seine Persona, seine Gefühlswelt beim Programmieren. Ich muss gestehen, dass ich meine Gefühlswelt beim Programmieren noch selten von einem Nicht-Programmierer dermassen akkurat beschrieben fand.

Die nächsten Kapitel sind den Festen und Riten der Hacker gewidmet. Die Entwickler von Debian sind über die ganze Welt verstreut und arbeiten und kommunizieren in erster Linie über digitale Kanäle. Mindestens einmal pro Jahr treffen sie sich jedoch zur grossen DebConf. Ein einwöchiger Event an dem gefeiert, getrunken, sich ausgetauscht aber auch gearbeitet und über Ethiken, Legalitäten und die Zukunft von Debian diskutiert wird. Die DebConf gilt für die Entwickler als Klimax des Jahres der durchaus aus dionysisch ausfallen kann.

Ein kleiner, jedoch nicht minder wichtiger Abschnitt ist dem Humor der Hacker gewidmet. Im Humor der Hacker drückt sich eine gewisse Paradoxität aus. Sie haben einerseits den Anspruch ihre Arbeit am Projekt in einer grösseres Ganzes zu stellen, zum Wohle vieler. Andererseits ist der durchschnittliche Hacker elitär veranlagt. Coleman benutzt in diesem Zusammenhang auch Meritokratie, dass heisst Status durch Leistung und Fähigkeit. Der Hacker fordert durchaus Respekt von jenen ein, welche weniger Status in der Meritokratie haben. Am besten drückt sich dieses Paradox im Auspruch [RTFM]{.underline} aus.

Nach Abschluss der Ausführungen über den Hacker beschreibt Coleman das Projekt Debian in all seinen Facetten. Wie ist es entstanden und wie sieht es heute aus? Wie ist es organisiert? Wie können neue Entwickler in diese Gemeinschaft eintreten? Debian hat sehr rigide Regelsysteme die aus einer Mischung aus Demokratie und Meritokratie bestehen. Zum Beispiel müssen Neulinge Ausführliche Test durchgehen und Aufsätze schreiben, wie sie über freie Software denken und fühlen. Wobei ein Teil dieser Aufsätze frei sind und ein Teil als Antwort auf Fragen zum Regelsystem von Debian. Zudem bekommt jeder Neuling einen Mentor zugeteilt. Der Neuling muss sich jedoch selbst um diesen bemühen da dieser auch für den Neuling bürgen muss. Sehr spannend für mich war zu sehen, dass das Projekt mehrere verschiedene Methodiken der Organisation, Partizipation und Kommunikation miteinander verwoben hat, welche je nach Problemstellungen anders zum Zuge kommen.

Der letzte grosse ausführliche Teil des Buches befasst sich mit der Auseinandersetzung von opensource Software und dem Gesetz. Es ist ein tolles Spannungsfeld in dem Copyright Lobbyisten gegenüber ideologischen Hackern stehen. Die grundlegenden Veränderungen mit Copyleft und freien Lizenzen kamen jedoch aus einer pragmatischen Haltung heraus. Die Hacker hatten erkannt, dass sie nicht ungehindert ihrer Arbeit und Leidenschaft nachgehen können, ohne sich mit dem Gesetz auseinanderzusetzen. Sie sind der Überzeugung, dass nur [freier Sourcecode]{.underline} Nachhaltigkeit, Qualität und ein freies Lernen der benötigten Fähigkeiten ermöglicht. Die Auseinandersetzung mit dem Gesetzt gehört mittlerweile zur Grundausbildung der Hacker und führte zu einer Armada an Amateur-Juristen mit einer Spezialisierung auf Copyright.

Zum Abschluss schneidet Coleman die Translation der Hacker- und opensource Mentalität in andere Bereiche an. Es geht hier darum wie diese eine multinationale Firma wie IBM in ihrer Werbestrategie beeinflusst hat, wie die Mentalität die Independent Media Centers hervor gebracht hat und wie sie politischen und philosophischen Bewegungen neue Konzepte in den Mund legte.

[Begriffe und Themen]{.underline}

Opensource

Opensource besagt, dass die Quelle zu etwas ohne Verpflichtung zur Verfügung steht. Die Mentalität etwas in dieser Weise zu veröffentlichen kann ideologische aber auch pragmatische Gründe haben.

Hacker

Der Begriff Hacker wird in diesem Buch ausschliesslich für die Entwickler freier Software benutzt. Er wird zudem klar von Cracker abgegrenzt. Diese Unterscheidung ist traditionell bedingt. Der Cracker missbraucht seine Fähigkeiten für persönlichen Gewinn, Geld und Macht. Der Hacker, wie er im Buch verwendet wird, grenzt sich vor allem durch seine Leidenschaft und seinen unglaublichen Einsatz für das Programmieren aus.

Debian

Debian ist ein freies Betriebssystem, eine Variante von Linux. Die Entwicklergemeinschaft die daran arbeitet umfasst weltweit leicht mehr als 1000 Menschen. Diese sind in ein rigides, jedoch verhandelbares Regelsystem eingebunden. Debian existiert seit gut 20 Jahren und ist damit eines der ältesten opensource Softwareprojekte. Debian hat zudem einen der höchsten Ansprüche daran, wie freie Software zu sein hat.

RTFM

RFTM Steht für Read The Fucking Manual und ist meist die Antwort auf unangebrachte Fragen eines Neulings. RTFM besagt, dass Dokumentation zur Frage vorhanden ist und der Antwortende im Moment keine Lust oder Zeit hat persönlich zu antworten. RTFM hat mit Meritokratie zu tun, insofern von Neulingen verlangt wird, dass sie sich durch Arbeit und damit auch Beweis ihrer Fähigkeiten profilieren. Vor allem dann, wenn der Antwortende das Gefühl hat, ihm wurde nicht genügend Respekt entgegengebracht.

Sourcecode

Sourcecode ist die Basis von Software. Er besteht aus reinem Text, der durch Kompilierung in ausführbare Programme gewandelt wird. Hacker argumentieren, dass Sourcecode gleich Free Speech ist und so in Amerika unter das First Amendment fällt. Opensource lizensierter Sourcecode hat den Anspruch frei von Verpflichtungen zur Verfügung zu stehen. Dies im jetzt und auch in Zukunft, so dass gewährleistet werden kann, dass die gegenwärtigen Praktiken der Hacker auch weiterhin bestehen bleiben können.

[Eigene Gedanken]{.underline}

Das Buch ist wahnsinnig gut lesbar und intelligent geschrieben. Es fällt mir schwer einen Makel zu finden. Gepackt hat mich anfangs die Beschreibung der Gefühlswelt eines Programmierers beim Akt des Programmieren, in der ich mich absolut verstanden fühlte.

Der für mich interessanteste Teil bestand daraus, wie opensource Software sich mit dem Gesetz auseinandersetzen musste. Es war ein sehr gutes Beispiel wie die Entwicklung von Software Auswirkungen auf sein näheres und weiteres Umfeld hat. Diese Auswirkungen sind wonach ich strebte, auf meiner Suche nach der Relevanz meiner eigenen Arbeit.

[Wurden meine Erwartungen erfüllt und Fragen beantwortet?]{.underline}

Ich kann meine initialen Fragen nach der Lektüre nicht abschliessend beantworten. Das Buch ist für mich eine Referenz und Grundlage für mein Bestreben, mehr über die Hackerkultur zu erfahren und ich werde es wieder und wieder zu Rate ziehen, wenn ich konkretere Fragen habe.

Das Buch ist sehr auf die Entwickler aus dem Debianprojekt fokusiert und ist in diesem Feld exessiv und unheimlich akkurat. Meine Suche nach Antworten geht jedoch über den Debian Hacker hinaus. Deshalb war der Abschluss des Buches, in dem Coleman die Translation in andere Gebiete anschneidet, wohl der interessanteste und anregendste.

Nichtsdestotrotz habe ich Einsichten in eine faszinierende Welt erhalten. Ich nehme inspirierende Ansätze und ein erweitertes Vokabular mit.