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  • Rezension zu Posthuman von Rosi Braidotti created: 2024-05-28T21:04 updated: 2024-08-05T22:56 tags:
  • Archiveezension zu Posthuman von Rosi Braidotti Oct 13, 2015

20200421105926Posthuman

Review of Rosi Braidotti’s Posthuman (in German) for Avenue.

http://archiv.avenue.jetzt/cyborgs/rezension-posthumanismus/

Was kommt nach dem Menschen?

Posthumanismus ist ein furchteinflössendes Buch. Nicht nur wegen seines Inhaltes, der an manchem Weltbild nagen mag. Nein, auch der Umfang des Projektes, das Rosi Braidotti hier anpackt, ist monströs. Schliesslich stösst sie nicht nur den Menschen vom seinem anthropozentrischen Thron, sondern zeigt auch gleich noch einen Weg aus der daraus entstehenden Misere auf.

Dem Posthumanismus Braidottis lĂ€sst sich von verschiedenen Seiten her nĂ€hern. Einerseits ist er eng mit dem Transhumanismus verknĂŒpft und beschert uns dorther techno-erotische Fantasien der Verschmelzung von Mensch und Maschine: Wie wĂ€re es, könnten wir den Geist ins Internet ‘uploaden’? Wie wĂ€re es, wĂŒrden unsere Prothesen nicht nur Fehlendes ersetzen, sondern als ‚Hyper-thesen‘ die Grenzen des menschlich Machbaren sprengen? Andererseits artikuliert Braidottis Posthumanismus eine kritische Auseinandersetzung mit dem, was nach dem Humanismus, nach dem Menschen kommt. Zwischen diesen Polen ist der vorliegende Text einzureihen.

Eine frĂŒhe Version des Down- und Uploads von Geist. Szene aus

Star Trek

Eine inhaltliche Analyse von PosthumanismusÂ ĂŒbersteigt diese Rezension. So viel sei aber verraten: Es werden Antworten geboten. Hier allerdings werde ich insbesondere auf den Rahmen eingehen, den sich Braidotti zur Bearbeitung des Themas geschaffen hat. Das Buch ist in vier grosse Kapitel unterteilt, die sich jeweils einer essentiellen Frage stellen.

  1. Was ist Posthumanismus?
  2. Wo ist des Menschen Platz in der posthumanen Kondition?
  3. Wie erzeugt der Posthumanismus seine eigene Unmenschlichkeit?
  4. Wie beeinflusst der Posthumanismus die Geisteswissenschaften?

Einem interessiertem und belesenen Laien sind die beiden ersten Kapitel zugĂ€nglich und zutrĂ€glich. Das erste Kapitel beinhaltet unter anderem eine ausfĂŒhrliche Geschichte der Geisteswissenschaften aus Sicht einer hadernden Anti-Humanistin. Das zweite Kapitel stellt das ArgumentationsgerĂŒst Braidottis vor. Das dritte Kapitel ist vor allem fĂŒr Ethikerinnen und Ethiker relevant. FĂŒr die distanziert analytischen Geister liefert das vierte und letzte Kapitel GesprĂ€chsstoff.

Das Rhizom: eine wichtige Denkfigur von Gilles Deleuze und FĂ©lix Guattari

GrundsĂ€tzlich lĂ€sst sich sagen, wer französisches RĂ€sonnieren à la Deleuze-Guattari mag, ist bei der LektĂŒre des Buches gut aufgehoben. Wer nicht, legt das Buch schon bald beiseite. Braidotti wirft mit Begriffen nur so um sich, die sie nach Belieben mit Bedeutung fĂŒllt. Ein kleine Liste solcher Begriffe, die mich als Rezensenten beeindruckt haben: infrahuman, subhuman ontological, micro-fascisms, diasporic mobility, ‘earth’ others, necro-political, zoo-proletariat, non-androcentric, deep ecology, biomediated, generative ‘wetware’. (Da das Buch in der deutschen Übersetzung noch voraussetzungsreicher ist, habe ich das Buch vorwiegend in der englischen Version zur Kenntnis genommen.)

Von all diesen Begriffen sind drei essentiell fĂŒr die Argumentation.

Zoe, Matter-Realism, Nomadic Subjectivity

Zoe ist in diesem illustren Reigen vermutlich der fĂŒr die Argumentation wichtigste Begriff. Das Wort “Zoe” ist altgriechisch (Î¶Ï‰Îź) und bedeutet Leben in einem vegetativen Sinne. Es steht damit in Opposition zu Bios, dem kultivierten Leben. Zoe ist nach Braidotti nicht ein Modus des Seins, sondern vielmehr die dynamische, selbstorganisierende Struktur des Lebens. Zoe ist die KapazitĂ€t und Tendenz lebender Materie, sich mit anderen lebenden Systemen zu neuen Assemblagen zu verbinden. Braidotti sieht diese RelationalitĂ€t nicht auf unsere Spezies beschrĂ€nkt. Sie beinhaltet alle nicht-anthropozentrischen Elemente.

Ding-Realismus (matter-realism) bezeichnet Braidottis eigenen radikal feministischen Neo-Materialismus, der von Spinozas Monismus inspiriert ist, um die Vorstellung von Zoe erweitert, letztlich in Richtung Vitalismus und Animismus entwickelt wird. Einfacher ausgedrĂŒckt: Unter dem Blickwinkel des Ding-Realismus ist alle Materie eins und darf durch ihre FĂ€higkeit zur Selbstorganisation als intelligent bezeichnet werden.

Unter dem Blickwinkel des Ding-Realismus ist alle Materie eins und darf durch ihre FĂ€higkeit zur Selbstorganisation als intelligent bezeichnet werden.

Ding-Realismus und Zoe stehen wiederum in Verbindung mit dem Konzept der nomadischen SubjektivitĂ€t. Dieses hat Braidotti schon frĂŒher entwickelt, aber sie wendet es erst hier voll umfĂ€nglich an. “Nomadische SubjektivitĂ€t” bedeutet nicht-einheitliche SubjektivitĂ€t, die doch an ethische Verantwortung gekoppelt erscheint, indem sie die wichtige Rolle von RelationalitĂ€t betont.

Das nomadische Subjekt ist also Objekt der Analyse und Lösung zugleich. Der kritische Posthumanismus beschĂ€ftigt sich damit, was nach dem Humanismus kommt. Einerseits wird dabei der Mensch als Konzept aufgelöst. Anderseits stehen wir nun vor dem moralischen Problem: “Wenn es nicht um uns geht, was soll’s uns dann noch angehen?”. Durch die Denkfigur des nomadischen Subjekts zeigt Braidotti auf, dass wir Menschen grundsĂ€tzlich keine UnabhĂ€ngigkeit von der Welt geniessen, in die wir eingebettet sind. Wir sind in verschiedenen Konfigurationen Subjekte – zusammen mit unserer Technologie, zusammen mit unserem Planeten, zusammen mit anderen Lebewesen. In diesem Pantheon der Subjekte mĂŒssen wir nun einen verantwortungstragenden und -bewussten Platz einnehmen. Verantwortung ĂŒbernehmen in Zeiten des Posthumanismus heisst, der Materie sowie der dem Leben innewohnenden Intelligenz und FĂ€higkeit zur Selbstorganisation Entfaltungsraum zu verschaffen.

Was bleibt nach der LektĂŒre? Das Buch als Ganzes lĂ€sst sich kaum angemessen verdauuen. Jedoch ist sein Aufbau solide, nachvollziehbar und dicht an Verweisen. Es richtet sich mit Inhalt und Schreibe an die Theoretiker in den Geisteswissenschaften. Dennoch bleibt auch fĂŒr die interessierten Laien genug zugĂ€ngliches Material ĂŒbrig, sollten sie sich damit abfinden, nicht alles zu verstehen. Von einer populĂ€rwissenschaftlichen Abhandlung des Posthumanismus ist das Buch allerdings meilenweit entfernt.

Zu guter Letzt möchte ich Braidotti selbst das Wort erteilen:

“The posthuman nomadic subject is materialist and vitalist, embodied and embedded – it is firmly located somewhere, according to the radical immanence of the ‘politics of location’ that I have stressed throughout this book. It is a multi-faceted and relational subject, conceptualized within a monistic ontology, through the lenses of Spinoza, Deleuze and Guattari, plus feminist and post-colonial theories. It is a subject actualized by the relational vitality and elemental complexity that mark posthuman thought itself.”